Wie ich einmal (fast) meinen ganzen Besitz weggab

Sieben Kisten, zwei Koffer, eine Nähmaschine, eine Truhe voll Stoff und ein Gemälde – das war alles, was ich in Deutschland einlagerte, als ich Mitte 2018 für zwölf Monate nach Japan zog. Alles andere hatte ich vorher verkauft, verschenkt oder weggeschmissen. Alle Möbel meiner 2-Zimmer-Wohnung hatten neue Besitzer gefunden, der Inhalt meines Kleiderschranks war um mehr als die Hälfte reduziert und das schwere Porzellan hatte ich gegen fünf Teller aus Bambus getauscht. So wenig hatte ich noch nie im Leben besessen. Trotzdem hatte ich beim Anblick meiner paar Habseligkeiten vor allem einen Gedanken: da kann doch bestimmt noch was von weg!

Schon als Kind war ich gut darin, aufzuräumen und auszusortieren. Während des Studiums stand ich dann mindestens einmal jeden Sommer zum Verkaufen auf dem Flohmarkt, später habe ich Überflüssiges über das Internet versilbert und bei jedem Umzug (und davon gab es einige) fleißig aussortiert. Trotzdem sammelt sich über vier Jahrzehnte einiges an. Als klar war, dass ich ein Jahr unbezahlten Urlaub nehmen darf, um eine Weile in Kyoto zu leben, wusste ich sofort, dass dies zugleich die Gelegenheit ist, ein weiteres Projekt meiner Bucket List umzusetzen: radikaler Minimalismus. Kurz vorher hatte ich das Buch des japanischen Minimalisten Fumio Sasaki gelesen, der so wenig besitzt, dass er seinen letzten Umzug mit dem Taxi gemacht hat. Da wollte ich auch hin, jedenfalls ungefähr.

Was will ich unbedingt behalten?

Etwa ein Dreiviertel Jahr, bevor ich nach Japan zog, habe ich begonnen, Dinge zu verkaufen oder zu verschenken. Relativ schnell fand das Sideboard einen neuen Besitzer, danach der Sessel. Plötzlich hatte ich gefühlt unendlich viel Platz in meinem Wohnzimmer. An die Stelle, an der vorher das Sideboard gestanden hatte, stellte ich sechs Plastikboxen. Am Ende sollte in diese Kisten und zwei Koffer alles hineinpassen, was ich behalten wollte. Kurz vor Schluss kam dann doch noch eine Umzugskiste hinzu, in der ein paar sperrige Dinge wie ein Paar Stiefel, ein Schirm und meine Weltkarte landeten.

Natürlich hatte ich beim Ausmisten in Sachen Motivation gleich zwei entscheidende Vorteile: Mein Mietvertrag war gekündigt, ich musste die Wohnung also leer bekommen, kein Aufschub möglich. Und für jeden Euro, den ich durch den Verkauf meiner Sachen einnahm, konnte ich mir in Japan ein kleines Extra leisten (das Jahr als solches war auch ohne die Wohnungsauflösung finanziert). Im Rückblick war die Variante, mir mit den Boxen ein Maximum vorzugeben, extrem hilfreich. Einfach nur zu sagen, man möchte “ein bisschen” ausmisten, führt in der Regel dazu, dass es auch bei einem Bisschen bleibt. Ich musste dagegen nicht entscheiden, was ich aussortieren will – sondern was ich unbedingt behalten möchte.

Emotionale Achterbahnfahrt

Die Monate der Wohnungsauflösung waren eine emotionale Achterbahnfahrt. Einerseits war ich total euphorisch, weil sich das Leben ohne all die Dinge, die ich schon verkauft oder verschenkt hatte, viel einfacher anfühlte. Gleichzeitig hatte ich Panik, dass ich bis zur Wohnungsübergabe nicht alles loswerden würde. Das viele Zeug, das ich noch hatte, fühlte sich an wie eine tonnenschwere Last. Und es schien mir ungeheuer absurd, dass man heutzutage mit wenigen Klicks und in Sekundenschnelle Dinge online einkaufen kann – sie hinterher aber wieder loszuwerden, kostet deutlich mehr Zeit und Energie. Auch war ich frustriert, weil vor allem meine Möbel einen drastischen Wertverlust hatten. Den größten Teil meiner Einrichtung hatte ich erst ein Jahr zuvor gekauft (ja, ich weiß, erstklassiges Timing). Trotzdem habe ich nur einen Bruchteil des ursprünglichen Preises dafür bekommen. Und das, obwohl es deutsche Markenmöbel waren. Zwar füllten sich die Zahlenreihen in dem kleinen Büchlein, in dem ich meine Einnahmen aus den Verkäufen notierte, relativ schnell, aber die Höhe der Gesamtsumme blieb deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Kurz vor knapp war dann tatsächlich alles weg. Auch weil ich gegen Ende ziemlich radikal Dinge entweder weggeschmissen oder beim Oxfam Shop abgegeben habe, wo meine aussortierten Habseligkeiten für einen guten Zweck verkauft wurden. Ich wollte die Sachen vor allem loswerden und habe mich mit schöner Regelmäßigkeit gefragt, warum ich mir all das Zeug überhaupt angeschafft habe. Spannend waren die Geschichten, die manche Käufer zu erzählen hatten. Eine tibetische Tiermaske, die ich aus Indien mitgebracht hatte, ging an ein privates kleines Maskenmuseum. Meinen Sari hat eine Deutsche gekauft, die zu einer indischen Hochzeit in Bayern eingeladen war. Und die Aboriginal-Kunst ging an einen Australier, der der Liebe wegen nach Deutschland gezogen war, ab schreckliches Heimweh hatte.

Das gute Gefühl von wenig Besitz

Inzwischen bin ich aus Japan zurück, und immer noch minimalistisch unterwegs. Ich bin bei meiner besseren Hälfte eingezogen, aber abgesehen von meiner Stofftruhe gehört mir hier nur ein einziges Möbelstück: ich habe mir einen kleinen Schreibtisch gekauft, an dem ich diese Zeilen schreibe. Immerhin habe ich meine Lektion gelernt und mir nur ein günstiges schwedisches Möbel angeschafft. Aus meinen sieben Kisten habe ich nach dem Jahr im Ausland Dinge zutage gefördert, die ich komplett vergessen hatte. Einiges davon ist schon verkauft.

Ich genieße heute das gute Gefühl, nur wenig zu besitzen. Denn damit bin ich auch nur für wenige Dinge verantwortlich. Das finde ich ungemein erleichternd, denn schließlich will das alles gepflegt und geputzt werden. Mein minimalistischer Kleiderschrank macht es mir leicht, mich zu entscheiden, was ich anziehen will. Noch nicht ein Mal habe ich es bereut, dass ich meinen Besitz so radikal reduziert habe. Ganz im Gegenteil, ich würde es jederzeit wieder machen. Statt in Dinge investiere ich heute lieber in Erfahrungen. Und wenn ich meinen kleinen Schreibtisch auseinander schraube, kann ich im Zweifel tatsächlich noch immer mit dem Großraumtaxi umziehen.

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