Apfelblüte

Warum ich froh bin, keine 20 mehr zu sein

Wenn heute die gute Fee vorbei schauen und mir anbieten würde, ich könnte nochmal 20 sein, würde ich dankend ablehnen. Ich meine, jetzt mal ehrlich: Mit 20, da ist man doch noch ein halbes Kind! Keine wirkliche Idee, wer man ist und wer man sein möchte. Kein Geld, keine Lebenserfahrung und zu allem Überfluss auch noch von total absurden Schönheitsidealen beeinflusst, die einem permanent ein Gefühl vollkommener Unzulänglichkeit geben. Wie entspannt ist es da doch, Mitte 40 zu sein.

Ich persönlich finde Lebenserfahrung eine wunderbare Sache. Blöd nur, dass man so lange warten muss, bis man sie hat. Hätte ich mit Mitte 20 gewusst, welche Dinge im Leben wirklich wichtig sind, ich hätte vieles deutlich entspannter angehen können. Stattdessen habe ich mir um vollkommen unwichtige Dinge Sorgen gemacht. Zum Beispiel darüber – haltet Euch fest! – dass ich Schlupflider habe. Ja, ich weiß, vollkommen absurd, auf so etwas Zeit und Energie zu verschwenden. Aber damals wusste ich es nicht besser und habe mir jahrelang von Frauenzeitschriften einreden lassen, dass Schlupflider ein echtes Problem sind. Heute mache mir über meine Augenlider nur Gedanken, wenn sie nach einer zu kurzen Nacht allzu präsent sind. Und echte Probleme, das weiß man mit Mitte 40 leider auch, die spielen in der Liga von Arbeitslosigkeit, Krebs und Scheidung.

Wer bin ich und wie lange?

Lebenserfahrung sei Dank habe ich heute auch eine ungefähre Idee, wer ich bin. Ich bin nicht sicher, ob man mit diesem Selbstfindungsprozess jemals “fertig” ist, und mit schöner Regelmäßigkeit lerne ich noch Neues hinzu, verlasse die Komfortzone und hinterfrage meinen Lebensweg. Aber eine grobe Richtung und ein paar entscheidende Eckpunkte habe ich inzwischen herausgearbeitet. Äußerst hilfreich fand ich in diesem Zusammenhang auch die nicht ganz so positiven Erfahrungen im Leben. In meinem allerersten Job habe ich beispielsweise auf die harte Tour lernen müssen, mir von Vorgesetzten nicht alles bieten zu lassen. Das war wahrlich keine tolle Arbeitsatmosphäre. Aber ich bin daran gewachsen. Und das kann ich rückblickend für viele Momente im Leben sagen. Egal ob gut oder schlecht, ich habe daraus gelernt und mich weiterentwickelt. Deswegen bereue ich tatsächlich auch nur sehr, sehr wenige Dinge. Lieber gehe ich auf Risiko, falle im Zweifel auf die Nase und lerne etwas daraus, als dass ich mich den Rest meines Lebens frage: Was wäre gewesen, wenn …?

Einer der großen Vorteile des Älterwerden ist natürlich, dass ich heute deutlich mehr Geld verdiene als mit Mitte 20. Gleichzeitig gebe ich es viel bewusster aus. Denn im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass mir Erlebnisse und Erinnerungen deutlich wichtiger sind als Dinge. Hätte ich das eher gewusst, hätte ich viel Geld für unnütze Anschaffungen sparen können. Es ist tatsächlich möglich, ohne Pastateller und Fischbesteck zu leben. Als ich die Ausstattung für meine erste eigene Wohnung zusammensammelte, schien mir beides noch absolut unverzichtbar. Eine ausufernde Bibliothek gehörte für mich auch zwingend zum Erwachsensein dazu. Das hielt bis zum dritten Umzug. Ab da wurden es bei jedem Wohnungswechsel weniger Bücher. Inzwischen lebe ich sehr minimalistisch, sortiere regelmäßig Überflüssiges aus (zum Beispiel Pastateller und Fischbesteck). Statt Dinge zu kaufen investiere ich in Reisen, und habe längst aufgehört, unterwegs Souvenirs zu kaufen. Lieber nehme ich als Erinnerung lokale Lebensmittel mit, mit denen ich den Urlaub in der Heimat zumindest kulinarisch verlängere. Und ja, anders als in jungen Jahren lege ich natürlich auch Geld zur Seite fürs Alter. Zu den wenigen Dinge, die ich rückblickend gerne anders gemacht hätte, gehört tatsächlich die Altersvorsorge. Damit hätte ich gerne zehn oder zwanzig Jahre eher angefangen.

Ich muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen

Wirklich sehr, sehr froh bin ich, dass ich ohne Social Media aufgewachsen bin. Meine Jugendsünden sind nicht auf ewig im Internet dokumentiert. Und ich musste mich nur mit wenig realistischen Schönheitsidealen aus Frauenzeitschriften und Werbung rumschlagen, und mir nicht noch einreden lassen, mein Leben müsse so aussehen wie das der Influencer auf Instagram und Co. Dafür hat mich das Leben gelehrt, dass es sich nicht lohnt, irgendwelchen Trends hinterher zu laufen. Ich kaufe Klamotten nur, wenn ich mich darin wohl fühle. Unabhängig davon, ob das gerade in ist oder nicht. Meine Blusen nähe ich mir inzwischen zu einem großen Teil selber, und mein Stil ist … nun ja … MEIN Stil. Nicht der anderer. Auch sonst habe ich wenig Angst, etwas zu verpassen. Wenn man allem hinterherläuft, was gerade angesagt ist, verpasst man vor allem eins: sein eigenes Leben!

Ich will gar nicht behaupten, dass ich nicht auch manchmal mit der Schwerkraft oder der Waage hadere und mich ab und zu eine Sinnkrise ereilt. Aber inzwischen besitze ich genug Gelassenheit, um mir davon nicht die Laune verderben zu lassen. Weil ich weiß, dass andere Dinge im Leben deutlich wichtiger sind. Frauenzeitschriften kaufe ich nur noch sehr selten, dafür regelmäßig Finanzzeitschriften, der Anlagestrategie für die Rente wegen. Grundsätzlich habe ich gelernt: Ich muss nicht mehr auf jeder Hochzeit tanzen und jedem Trend folgen. Und vor allem: ich darf früh ins Bett, wenn mir der Sinn danach steht. Denn Gott sei dank bin ich keine 20 mehr.

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